Samstag, 24. April 2010

Scribo ergo sum


Why do I write? This is a very personal question, Sir. You really get me thinking.

And that is exactly why I already have an answer dancing on the tip of my tongue or rather my fingertips.

I write because I live. In my understanding of existence, I am very close to life. With all of my senses, highly alerted to absorb in every single instant everything my environment can offer. All I am able to grasp then accumulates – after a first ad hoc selection – in my head and in my heart. Later, in one of those quiet and sensory-free moments, when the flood of impressions ceases, questions arise as well as the urge to create something sentient from the collected. And since I experience thinking as painful, I fall back on pen and paper. I am not able to think and then summarise my thoughts consecutively in writing. I think and write simultaneously. I think while writing. This is the only way for me to subsequently constructivise my world and create an existence - for me, my thoughts, my sentiments and the objects around me. Scribo ergo sum.

And the same phenomenon has happened right now. I have found the answer to your question while writing.

However, I have the feeling that there are a number of further reasons and causes for my word-juggling tendencies.

But please allow me to drop in the marginal note that to me it seems rather absurd to write about writing. Have you ever asked a painter to paint a picture about painting? Or a composer to set music itself to music?

But let's come back to your request. I am afraid I have to become a little shallow and witless in the second part of my portrayal. When trying to construct an existence for myself by writing, I get into a true frenzy – or let's call it ecstasy, euphoria. My heartbeat speeds up, and I turn into a word-desirous and explanation-addicted creature who knows no greater satisfaction than a pretty word and a full stop at the end of an article. Maybe because then I can stop thinking, and the pain of pondering eases. And also because I then have the result of my agony in front of me. Tangible. Readable. Comprehensible. Like the solution to a mathematical problem. I have created a product that I encircle with both pride and self-doubt, and that I look at again and again to examine it for aesthetics and raison d’être.

At this point I want to clarify, however, that I don’t write because I read. I write despite reading. Nothing touches me more than a sublime composition of perfect words. If on top of that their combination is reasonable and meaningful too, I burst with awe and emotional turmoil. I don’t compare myself with my masters. Not because I am modest or scared, but on principle. I am aware of the fact that my muse is not gifted enough to measure up to their lettered standards. But my muse doesn’t have to compete. She or he may simply serve as my drug to get high. My muse may assist me in existing, living and understanding the things I encounter.

So I write to think, to be and to get high.

I hope my answer is satisfactory, Sir. And I also hope that you appreciate the fact that – adhering to my own constructivist approach – now that I have written about writing, I have functionally become a writer.

And now please allow me to switch off my thinking and reasoning and switch on my senses instead, to indulge for a while in senseless being and sensory intake.


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Scribo ergo sum.

Warum ich schreibe? Das ist eine sehr persönliche Frage, mein Herr.
Sie bringen mich ins Grübeln.
Aber gerade deshalb liegt mir auch gleich eine Antwort auf der Zunge beziehungsweise sitzt sie mir in den Fingern.
Ich schreibe, weil ich lebe. In meinem Verständnis der Existenz bin ich sehr nah am Leben dran. Mit all meinen Sinnen. Sperrangelweit geöffnet sind sie allesamt in jedem Augenblick, um möglichst alles zu absorbieren, was mir meine Umwelt bietet. Und all das Feilgebotene sammelt sich dann nach einer ersten Ad hoc-Auslese an in meinem Kopf und meinem Herzen. In den ruhigen Momenten der „Reizlosigkeit“, wenn die Flut der Eindrücke, nachlässt, kommen nun die Fragen und entsteht der Drang, etwas Sinnhaftes aus dem Gesammelten zu basteln. Und da mich das Denken schmerzt, greife ich lieber auf Papier und Feder zurück. Ich kann nicht denken und in Folge das Gedachte in Schrift zusammenfassen. Ich denke und schreibe simultan. Ich denke schreibend. Nur so gelingt es mir, meine Welt im Nachgang zu „konstruktivieren“, mir, meinen Gedanken, meinen Gefühlen und den Objekten um mich herum eine Existenz zu verschaffen.
Scribo ergo sum.

Und just so auch in dieser Minute. Die Antwort auf Ihre Frage ergab sich soeben schreibend.
Während ich hier aber sitze, habe ich die Befürchtung, dass es noch vielerlei weitere Gründe und Ursachen gibt für meine Wortklauberei.

Aber bitte gestatten sie mir erst noch die beiläufige Bemerkung, dass es mir ein wenig absurd erscheint, über das Schreiben zu schreiben. Haben Sie jemals einen Maler gebeten, ein Bild über die Malerei zu malen oder einen Komponisten, die Musik selbst zu vertonen?

Aber kommen wir zurück zu Ihrem Anliegen. Ich befürchte, ich muss im zweiten Teil meiner Erläuterung ein wenig seicht und geistlos werden. Denn es ist so, dass ich, während ich also versuche mir schreibend eine Existenz zu konstruieren, recht profan in einen wahren Rausch gerate, oder nennen wir es Ekstase, Euphorie. Mein Herzschlag erhöht sich, ich verwandele mich geradezu in ein wortlüsternes und erklärungssüchtiges Wesen, das keine größere Befriedigung kennt als ein hübsches Wort und einen Punkt am Ende eines Artikels. Wohl auch deshalb, weil ich dann endlich aufhören darf zu denken und der Schmerz des Grübelns nachlässt. Und auch deshalb, weil ich das Ergebnis der Qual nun vor mir habe. Greifbar. Lesbar. Nachvollziehbar. Wie die Lösung eines mathematischen Problems. Es ist ein von mir gebasteltes Produkt, um das ich herumspaziere mit gleichermaßen Stolz wie Selbstzweifeln und das ich immer wieder betrachte, um es auf Ästhetik und Existenzberechtigung zu untersuchen.
An dieser Stelle möchte ich aber unbedingt klarstellen, dass ich nicht schreibe, weil ich lese. Ich schreibe obwohl ich lese. Nichts berührt mich mehr als eine meines Erachtens vollendete Komposition perfekter Worte. Macht deren Kombination dann auch noch Sinn, dann brenne ich vor Ehrfurcht und Ergriffenheit. Und den Vergleich mit meinen Meistern trete ich nicht an. Nicht aus Bescheidenheit oder Angst, sondern aus Prinzip, weil mir bewusst ist, dass meine Muse nicht genug Talent besitzt, um sich auf diesem literarischen Niveau zu messen. Aber das muss meine Muse auch gar nicht. Sie darf mir schlicht als Droge dienen und mich in ekstatische Zustände versetzten, und sie darf mir dabei helfen, zu existieren, zu leben und das Erlebte zu verstehen.
Und so schreibe ich also, um zu denken, um zu sein und um mich zu berauschen.
Ich hoffe, mein Herr, Sie sind zufrieden mit meiner Antwort. Und ich hoffe, dass Ihnen bewusst ist, dass ich – meinem eigenen Konstruktivisansatz folgend - nun , da ich über das Schreiben geschrieben habe, einen amtlichen Schreiber aus mir gemacht habe.
Und jetzt erlauben Sie mir bitte, mein Denken aus- und meine Sinne anzuschalten, um für eine Weile wieder meinem sinnlosen Sein und dem Reizkonsum zu frönen.

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