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Scribo ergo sum.
Warum ich schreibe? Das ist eine sehr persönliche Frage, mein Herr.
Sie bringen mich ins Grübeln.
Aber gerade deshalb liegt mir auch gleich eine Antwort auf der Zunge beziehungsweise sitzt sie mir in den Fingern.
Ich schreibe, weil ich lebe. In meinem Verständnis der Existenz bin ich sehr nah am Leben dran. Mit all meinen Sinnen. Sperrangelweit geöffnet sind sie allesamt in jedem Augenblick, um möglichst alles zu absorbieren, was mir meine Umwelt bietet. Und all das Feilgebotene sammelt sich dann nach einer ersten Ad hoc-Auslese an in meinem Kopf und meinem Herzen. In den ruhigen Momenten der „Reizlosigkeit“, wenn die Flut der Eindrücke, nachlässt, kommen nun die Fragen und entsteht der Drang, etwas Sinnhaftes aus dem Gesammelten zu basteln. Und da mich das Denken schmerzt, greife ich lieber auf Papier und Feder zurück. Ich kann nicht denken und in Folge das Gedachte in Schrift zusammenfassen. Ich denke und schreibe simultan. Ich denke schreibend. Nur so gelingt es mir, meine Welt im Nachgang zu „konstruktivieren“, mir, meinen Gedanken, meinen Gefühlen und den Objekten um mich herum eine Existenz zu verschaffen. Scribo ergo sum.
Und just so auch in dieser Minute. Die Antwort auf Ihre Frage ergab sich soeben schreibend.
Während ich hier aber sitze, habe ich die Befürchtung, dass es noch vielerlei weitere Gründe und Ursachen gibt für meine Wortklauberei.
Aber bitte gestatten sie mir erst noch die beiläufige Bemerkung, dass es mir ein wenig absurd erscheint, über das Schreiben zu schreiben. Haben Sie jemals einen Maler gebeten, ein Bild über die Malerei zu malen oder einen Komponisten, die Musik selbst zu vertonen?
Aber kommen wir zurück zu Ihrem Anliegen. Ich befürchte, ich muss im zweiten Teil meiner Erläuterung ein wenig seicht und geistlos werden. Denn es ist so, dass ich, während ich also versuche mir schreibend eine Existenz zu konstruieren, recht profan in einen wahren Rausch gerate, oder nennen wir es Ekstase, Euphorie. Mein Herzschlag erhöht sich, ich verwandele mich geradezu in ein wortlüsternes und erklärungssüchtiges Wesen, das keine größere Befriedigung kennt als ein hübsches Wort und einen Punkt am Ende eines Artikels. Wohl auch deshalb, weil ich dann endlich aufhören darf zu denken und der Schmerz des Grübelns nachlässt. Und auch deshalb, weil ich das Ergebnis der Qual nun vor mir habe. Greifbar. Lesbar. Nachvollziehbar. Wie die Lösung eines mathematischen Problems. Es ist ein von mir gebasteltes Produkt, um das ich herumspaziere mit gleichermaßen Stolz wie Selbstzweifeln und das ich immer wieder betrachte, um es auf Ästhetik und Existenzberechtigung zu untersuchen.
An dieser Stelle möchte ich aber unbedingt klarstellen, dass ich nicht schreibe, weil ich lese. Ich schreibe obwohl ich lese. Nichts berührt mich mehr als eine meines Erachtens vollendete Komposition perfekter Worte. Macht deren Kombination dann auch noch Sinn, dann brenne ich vor Ehrfurcht und Ergriffenheit. Und den Vergleich mit meinen Meistern trete ich nicht an. Nicht aus Bescheidenheit oder Angst, sondern aus Prinzip, weil mir bewusst ist, dass meine Muse nicht genug Talent besitzt, um sich auf diesem literarischen Niveau zu messen. Aber das muss meine Muse auch gar nicht. Sie darf mir schlicht als Droge dienen und mich in ekstatische Zustände versetzten, und sie darf mir dabei helfen, zu existieren, zu leben und das Erlebte zu verstehen.
Und so schreibe ich also, um zu denken, um zu sein und um mich zu berauschen.
Ich hoffe, mein Herr, Sie sind zufrieden mit meiner Antwort. Und ich hoffe, dass Ihnen bewusst ist, dass ich – meinem eigenen Konstruktivisansatz folgend - nun , da ich über das Schreiben geschrieben habe, einen amtlichen Schreiber aus mir gemacht habe.
Und jetzt erlauben Sie mir bitte, mein Denken aus- und meine Sinne anzuschalten, um für eine Weile wieder meinem sinnlosen Sein und dem Reizkonsum zu frönen.