Ich habe jetzt eine Weile nachgedacht. Gute viereinhalb Jahre lang. Und ich habe mich dabei gewunden. Um mich selbst. Und um eine Diskussion herum. Warum? Was habe ich versucht wegzudenken? Den Spagat. Die gänzlich untänzerische metaphorische Variante. Den Spagat: Ich-Kind-Familie-Arbeit. Noch vor vier Jahren wollte ich mich keinesfalls an der Debatte beteiligen. Spagat. Pfff. Solch ein medienüberpräsentes, überdiskutiertes Phänomen. Muss man nicht besprechen, muss man alles nur organisieren. Das schaffe ICH alles. Mit Links. Ja. Klar. Golbov, falsch gedacht. Gute viereinhalb Jahre später verstehe ich nun langsam, weshalb das Thema omnipräsent ist und heiß diskutiert wird. Vielleicht höre ich jetzt aber auch nur hin, kann mich identifizieren. Also denke ich mit. Und das kann ich am besten, wenn ich schreibe. Also schreibe ich jetzt. Nicht um mir einen Orden abzuholen für mich als arbeitende Mutter, sondern um mit dem Ich in den Dialog zu treten, das vor ein paar Jahren noch so agil und munter durch die Weltgeschichte sprang und vollmundig die Existenz des Spagats agnostisch für nichtig erklären wollte.
Heute sehe ich die Sache - offensichtlich - ein wenig anders. Mit vielen arbeitenden und nicht arbeitenden Müttern und Vätern habe ich mich darüber unterhalten. Und von vielen habe ich dieselben Geschichten gehört. Die Pain Points sind überall dieselben. Dagegen tun kann man wenig. Muss man auch nicht. Denn es ist ja tatsächlich alles gut, die Summe hinter dem elterlichen Istgleich ist wertschöpfend und lohnend, sie entschädigt direkt, ständig und substantiell. Aber dennoch verspüre ich nun eben den Wunsch, mein kinderloses Ich von damals beiseite zu nehme und ein ernstes Wörtchen mit demselben zu sprechen. Und ich möchte offiziell den Hut ziehen. For meinen Fellow Mums & Dads. Arbeitend oder nicht. 1 Kind. 2 Kinder. 3plus Kinder. Völlig egal.
Kürzlich, vor ein paar Tagen, da habe ich ein Gedankenspiel zugelassen. Aus reiner Neugier. Wie würde mein heutiger Tag ablaufen, wäre ich noch das Prä-Mutti-Ich. Und warum und weshalb bin ich heute um 19 Uhr so verdammt müde während ich vor fünf, sechs Jahren nicht genug Kultur und Nightlife mitnehmen konnte. Die Antwort sollte ich im Zuge meines Gedankenexperiments schnell finden.
Gedankenexperiment, Kamera läuft. So gestaltete sich also ein Tag vor einer Handvoll Jahren:
Montag. 7 Uhr früh. Frühestens. Der Wecker klingelt. Snooze. Der Wecker klingelt. Snooze. Der Wecker klingelt: Snooze. Räkeln. Strecken. Duschen. Die Badezimmertür in meiner Londoner 2er-WG bleibt zu. Mein Housemate ist schon längst außer Haus. Gemächlicher Gang zum Kleiderschrank. Eine bunte Vielfalt breitet sich aus. Alles will getragen werden. Kein Kleidungsstück älter als drei Jahre. An keinem Kleidungsstück haften Hundehaare, Knetmasse oder Fingerfarbenreste. Alles sauber. Mein Londoner Ich wählt vorsichtshalber etwas Ausgehtaugliches. Man weiß ja nie. Ersatz-Highheels in die schöne gepflegte Handtasche. In der Handtasche? Labello. Ein Buch. Ein Buch, das ich bestimmt innerhalb von zwei Wochen ausgelesen haben werde. Drei Handies. Geldbeutel. Im Geldbeutel? Geld und Migränetabletten.
Ein schneller Kaffee in der Küche. Ab aufs Fahrrad und off to Covent Garden. Es regnet? Well. Nehmen wir eben den Bus und lesen. Im Büro: Frühstück. Arbeit. Einfach so. Nur Arbeit. Nichts als Arbeit. Mittags Lunch. Mit liebsten, inspirierendsten, lustigsten Kollegen. Weiterarbeiten. Schon 20 Uhr. Jesus. Überstunden! Fix ins Pub. Dort warten schon mindestens 30 bekannte Gesichter. Ein Hauswein. Weiß. Large. Bitte. “Tequila?”, fragt der Kollege. “Nee, wo denkst Du hin. Es ist Montag.” “Sure?”, hakt der Kollege nach. “Okay. Just one.” Ein paar - mal moderat, mal etwas härter abgefeierte - Stunden später: zuhause. Schneller Schnack mit dem Housemate, schneller Snack. Convenience Food. Kühlschrank ist voll davon. Daneben Milch. Und Wein. Ab ins Bett. Schlafen. Einfach so. Einschlafen. Aufwachen. 6-8 Stunden später. Und wieder zurück auf Anfang. Ist der Tag ein Freitag breiten sich zwei Wochenendtage vor einem aus. Planen? Nicht nötig. Einfach mal so ausschlafen, warten auf Impulse. Gucken, was das Bauchgefühl so sagt. Friseur? Okay, Friseur. Optionen abtelefonieren, Termin ergattern, Fahrrad oder Taxi schnappen, Friseur. Beim Friseur? Lesen. Stillsitzen nervt. Danach angestaute Energien wegshoppen. Stundenlang. In aller Ruhe. Von Shop zu Shop. Gucken. Drehen. Wenden. Anprobieren. Weglegen. Zurückgehen. Doch kaufen. Zwischendurch? Nichts. Einfach nur shoppen. Kaffee in der Hand. Musik im Ohr. 19 Uhr: vielleicht noch schnell eine Ausstellung mitnehmen? Why not. Hunger. Telefon. Dinner. Date. Freunde. Gig. Theater. Kino. Kühlschrank. Take away. Couch. Whatever. Sonntag? Yoga vielleicht. Vorher noch joggen. Läuft. Bikram Yoga. Ashtanga Yoga. Yoga 2.0. Ganz egal. Alles da. Alles in der Nähe. Nur finden, buchen, machen. Yoga macht hungrig. Lunch. Im Pub. Mit Freunden. Sunday Roast. Brunch. Egal. Abhängen bis in den späten Nachmittag. Einfach so hängen lassen, die Füße, das Hirn, den Kopf, das Herz, die Hände, die Gedanken, die Gefühle. Alles. Einfach hängen lassen. Niemand braucht das Hirn, den Kopf, das Herz, die Hände, die Gedanken, die Gefühle. Nur schnöde abhängen, Unsinn reden, Sinn reden, Gesellschaft leisten und genießen. Morgen Montag. Vielleicht doch einmal um 23 Uhr ins Bett. Und täglich grüßt das Murmeltier den Montag. Am Dienstag vielleicht melancholisch, sentimental, de omnibus dubitandum. Feiern wir den Existenzialismus. Ist doch alles absurd. Keine Substanz im Leben. Wie war das nochmal mit der Liebe? Wie war das mit der Sinnhaftigkeit? Sei's drum. Bittersweet die Melancholie am Dienstag, nur noch sweet die Vorfreude auf das Wochenende am Freitag und eher nur noch bitter der Kater am Samstag.
Heute? Irgendwie anders:
Montag. Dienstag. Mittwoch. Donnerstag. Freitag. Im Münchener Umland. Auf dem Dorf. 6.30 Uhr früh. Spätestens. Der Wecker klingelt. Snooze? No way. Der Kopf springt von null auf hundert in einer Sekunde und spult die To-Dos der Woche ab. Räkeln? Strecken? Lieber nicht. Der kleine Mensch in dem Zimmer nebenan schläft noch. Noch ruhig. Immerhin war er zwei Mal wach in der Nacht. Besuch von Monstern und Konsorten. Zwei Mal aufgestanden, getröstet - oder einfach nur ignoriert und gehofft. Also noch schlafendes Kind schlafen lassen. Ruhe ausnutzen. Ich schleiche ins Bad und hoffe, dass der Hund nicht aufwacht und keinen der Schlafenden aufweckt. Duschen. Zwei Minuten. Die Badezimmertür geht auf. “Mamaaaaaaaa, was machst Du? Ist es schon hell?” Good Morning, Mama. Schnell fertig duschen während der Mini auf dem Klo hockt und erzählt, dass er ja gar nicht schlafen konnte, weil die Feuerhexe nachts ihr Unwesen im Kinderzimmer getrieben habe. Aus der Dusche springen, dem Kind die Zähne putzen, Karies und Baktus-Song singen. Und ich kann gar nicht singen. Kind waschen. Kind die Haare kämmen. Letzteres hört sich harmlos an? Ist es nicht. Selbst fertig machen. Für einen Tag im HomeOffice. Schicke das Kind ins Kinderzimmer: “Suche doch schon einmal Deine Klamotten raus.” Ein Fehler. Die Diskussion geht los. Nein, heute ist nicht Sommer. Nein, wir können keine Sommerkleider tragen. Eine frische Unterhose ist unbedingt notwendig, bitte ja. Bitte auch nicht falsch herum. Ja, du musst eine Jacke über das Glitzi-Shirt mit Wende-Pailetten ziehen. Warum? Warum. Warum. Circa 25 Minuten und viele Debatten und womöglich - tagesformabhängig - kindliche Tränen später ist das Kind angekleidet. Ich stehe immer noch ins Handtuch gehüllt herum. Viel zu spät. Was ziehe ich an? Hundehaare kleben an fast jedem Kleidungsstück. Knetmasse, Faschingsglitzer und Farbreste sowieso. Die hundehaarfreien, sauberen Lieblingsstücke sind nicht Gassi-tauglich. Egal. Irgendwas, das mich wenigstens halbwegs zivilisiert und kultiviert fühlen lässt. In memoriam.
Haare föhnen. Keine Zeit. Kaffee? Unbedingt. Zeitgleich: Biofencheltee kochen. Kind hat manchmal Problem mit dem Metabolismus. Nicht zu heiß. “Aua”. Nicht zu kalt. “Schmeckt nicht.” Ernährungstechnisch wertvolle Brote schmieren. Welcher Kindergartentag ist heute? Obsttag? Gemüsetag? Turntag? Musikschulentag? Ausflugstag? Scheiße. Ach so, darf man nicht mehr sagen. Dann eben Scheibenkleister, Stinker, Kaka, Poopoo. Groß. Ganz groß. Dann doch lieber Scheiße. Denn heute ist Turntag und Gemüsetag. Kind hat Kleid an. Nicht turntauglich. Umziehen. Gebrüll. Gemüse ist auch keines im Haus. Müssen wir wieder schummeln und eine verschrumpelte Pflaume in den Maulwurfgruppenkorb legen ohne dass es jemand merkt. Frühstücken. Nicht vergessen: Kind alle 30 Sekunden daran erinnern, zu essen. Nicht nur zu reden. Über dem Teller zu essen. Den Käse nicht vom Brot zu puhlen. Aufzuessen. Andere Kinder haben nämlich gar nichts zu essen. Man hört die eigenen Eltern aus dem eigenen Munde sprechen und krümmt sich kurz. Eines der zwei verbleibenden Handies brummt. Erinnerung. “Mittagessen KiGa bestellen”. Schnell noch Geld überweisen. Den KiGa-Speiseplan ignorieren. Zum fünften Mal in diesem Monat Fischnuggets mit Gurkensticks? Hätte ich Zeit, würde ich mich aufregen. Was soll's. Los geht’s. Kind in Schneeanzug friemeln. Hund und Handtasche nicht vergessen. In der Handtasche? Zwei Handies. Feuchttücher. Wechselklamotten für’s Kind. Verschimmelte Brotzeitreste, fusionierte klebrige Bonbons. Bestechungsgummibärchen. Geldbeutel. Im Geldbeutel: Migränetabletten, Familienfotos, selbstgemalte Kinderbilder - kein Kunstwerk ist schöner. Kind zum Auto manövrieren. Möglichst ohne Geschrei. Nachbarn. Möglichst ohne auf die Straße zu hüpfen oder sich in den Schneematsch zu stürzen. Hund ist mit dabei. Wartet mit voller Blase im Auto.
7 Uhr 30. Kind im Kindergarten abgeben. Dabei nicht auf die “Tafel des Grauens” sehen, die einem im Eingangsbereich des Kindergartens das tägliche Kindergartenvirenmenü präsentiert: “15 neue Influenza Fälle in der Bienengruppe. 18 neue Magendarmfälle bei den Maulwürfen. 5 x Maulklauenseuche. 2 x Scharlach. 99 x gemeine Kopfläuse.” Ignorieren. Wenn’s kommt, dann kommt’s. Verschrumpelte Pflaume unterjubeln. Hoffen, dass das Drama ausbleibt beim “Tschüss sagen”. 7 Uhr 45: Gassi. Einmal um den See. 7 Uhr 59: Brezel beim Bäcker kaufen. 8 Uhr: Am PC im HomeOffice. Arbeit. Herrlich. Einfach nur Arbeit. Halt. Handy 1 brummt. Der Kindergarten ruft an. Kind hustet. Scharlach? Nee. Nur Husten. Oder? Gedanken. Sorgen. Arbeit. 9 Uhr 30 Uhr: Erinnerung Handy 1: “Kind Ballett anmelden”. Ach, ja, es wollte ja zum Ballett? Snoozen wir die Erinnerung. Nächste Woche. 11 Uhr 30: Einladung zum Kindergeburtstag per WhatsApp auf Handy 1. Übermorgen. Erinnerung setzen für die Mittagspause. Mittagspause: Amazon. Geschenk bestellen. Ist Kim ein Mädchen oder ein Junge? Mist. Gender-unspezifisches Objekt identifizieren und kaufen. 1, 2, 3 meins. Expressversand läuft. Mittagspause Teil 2. Irgendwie müde. Hunger? Keine Zeit. Gassi. Eine Stunde Gassi. Fahrrad. Zu Fuß. Ganz gleich. Die Erfahrung lehrt: Lust hat man selten, danach ist wieder alles halb im Lot. Gassi entspannt. Schnell ein Sandwich. Wurst, Käse und Brot hat ein Kinderkühlschrank immer zu bieten. Wurst! Wer hätte das gedacht. Zurück an den PC. 14 Uhr 30: Erinnerung Handy 2: “Morgen Schulung, Material vorbereiten”. Mist. In Verzug. Jetzt aber ran. 15 Uhr: Erinnerung Handy 1: “Feriendienst buchen”. Okay, mach ich. 16h: Ein müdes, verschwitztes, idealerweise nicht blutendes und nur minder verrotztes Kind fällt mir in die Arme. Alles ist gut. Pures warmes Glück. Dieser kleine Mensch. Mein Herz hüpft, quillt über. Jeden Tag. Immer wieder. Das dauert manchmal an, manchmal verlangsamt sich der euphorische Herzschlag schon im Auto auf dem Weg nach Hause: “Mamaaaaaaa, ich hab Hunger. Durst. Kann ich Elsa gucken auf dem Eifon?” “Nein”. Dezibel steigen. Ignoranzmodus an.
16 Uhr 15: zuhause. (Oder wahlweise einkaufen, Wertstoffhof, irgendwo zwischen A und B, am PC.) Schnell noch zwei Stunden runterreißen. Möglichst viel mit Kind beschäftigen lautet der Vorsatz. Am Ende hat das Kind keinen Bock auf mütterliche Beschäftigung. Es will seine Ruhe. Es ist kindergartenmüde, hat Hunger, will oder muss aus olfaktorischen, hygienischen oder ästhetischen Gründen baden. Hund füttern nicht vergessen, um 17 Uhr. Hundefutter aus? Schnell bestellen. Internet. Dann buche ich doch jetzt gleich noch den Feriendienst, machen einen Termin zum Reifenwechseln aus, ordere Übergangskinderklamotten in der passenen Größe und kommuniziere nebenbei mit dem fliegenden Hausherrn. Kind brüllt währenddessen: “Mir ist langweilig. Langweilheilig. Darf ich fernsehen”. “Nein.” “Warum?” “Okay.” Fernsehen. Vor vier Jahren behauptete ich großspurig, dass kein Kind fernsehen wolle. Das erzöge man den Kids nur aus Faulheit an. TV. Kommt mir nicht ins Haus. Verrohung der Sitten. Jaja. Golbov. Jaja. Abendessen. Drama. Kind will nicht essen. Zu grün. Zu viele Stücke. Konsistenz zu schleimig. Schmeckt nicht. “Okay, dann iss halt nichts”. Fünf Minuten später: “Mamaaaa, ich habe Hunger”. “Du wolltest nicht aufessen, jetzt gibt es nichts mehr.” Drama: “Wenn ich nichts esse, sterbe ich. Ich will nicht sterben. Was ist sterben? Stirbst du vor mir?” Dilemma. Dinner Klappe, die zweite, um Kindertodesangst in Kekskrümeln zu ersticken. Sandmann. Kind ab ins Bett. “Ich will nicht schlafen. Ich HASSE schlafen. Schlafen ist langweilig.” Kind, du hast keine Ahnung. Zähneputzen. Karies- und Baktussong anstimmen. Am Morgen "Presto & Allegro", am Abend "Adagio & Larghissimo". Geschichte vorlesen. Mein Lieblings-Time-Slot des Tages. Schöne Bücher. Conni- und Lausemausverbot. "Subjekt, Prädikat, Objekt"-Bücher wie Conni & Co tun mir in der Seele weh. Deshalb wird zensiert. Also MEINE Lieblingskinderbücher. Preußler und Michael Ende ohne Ende. 15 Minuten seliges Beisammensein. Ein Kind. Ein oder fallweise zwei Erwachsene. Ein Kinderbett. Knuddeln. Lachen. Lesen. Licht aus. Drama. “Mamaaaaa, können wir noch alles besprechen?” Erste OCD-Züge: zwanghaftes Herunterleiern aller Monsterarten und Unterarten, Gespenster und Abkömmlinge, Hexen und Oberhexen, böser Tiere und Fabelwesen. Alle davon müssen aufgezählt werden, denn sonst? Denn sonst kommen sie uns des Nachts allesamt heimsuchen. Wollen wir nicht. Kinderängste müssen ernstgenommen werden. Fällt einem nicht immer leicht. Kinderküsse und Liebeserklärungen. Umarmungen. Wärme. Happiness. Licht aus. 19 Uhr: Aufräumen, Wäsche waschen, aufhhängen, Mails lesen, Kommunizieren mit der Außenwelt. Auch das will geplant sein, die meisten Freunde wohnen in anderen Zeitzonen, da kann man nicht einfach so anrufen. Heutzutage verabredet man sich zum FaceTimen und verschickt Outlook-Termineinladungen. 20 Uhr: Tagesschau. 20 Uhr 15? Müde. Lesen? Zwei Seiten. Maximal. Ein Buch? Ein Jahr. Ist der Tag ein Freitag erstrecken sich zwei Tage vor einem, die es auszufüllen gilt. Gerecht werden müssen wir dabei allen. Dem Kind. Dem Hund. Uns. Am Sonntag sind wir müde und freuen uns auf den Montag. Vorfreude auf den Montag. So sieht's aus. Kinder langweilen sich schnell. Und oft. Kindergarten ist eine Lösung. Und täglich grüßt das Montagsmurmeltier. Wenn wir Glück haben, ist keiner krank. Ich kann arbeiten. Ist das Kind krank, herrscht Ausnahmezustand. Wadenwickel. Kinderdocbesuch - ein Thema für sich. Einreiben. Aufreiben. Mails checken. Mails beantworten. Nasentropfen. Hustensaft. Fiebermessen. Alles Dramen. Und man fühlt mit. Will hätscheln, kuscheln, alles besser machen. Man ist selbst krank? Geht nicht. Kind muss aufstehen, angezogen werden, will essen, trinken, zum Kindergarten gebracht werden. Hund muss auch Gassi. Monster müssen auch verscheucht werden. Krank? Schon. Aber.
Am Ende des Gedankenexperiments bin ich schlauer. Die Handgriffe sind’s. Diese vielen klitzekleinen körperlichen und geistigen Handgriffe. Eine Menge davon. Jederzeit. Und immerzu. Alle schnell und alle gleichzeitig. Das kann müde machen. Das kann einen sich vergessen lassen. Macht nichts. Am Ende des Tages bleibt die Substanz. Alles ist gut. Genauso gewollt. Genauso gelebt. Aber eben müde. Und manchmal nicht ganz bei sich. Sondern ganz weit weg von sich. Partnerin will man ja auch noch sein. Und ein sauberes Haus muss schon auch. Alles andere? Fällt hinten runter.
Und nun? Es gibt ihn also, diesen Spagat. Wobei das Bild es nicht ganz trifft. Bei einem Spagat macht das eine Bein dieses, das andere jenes. Geordnet und voneinander getrennt. In der Realität machen alle Glied- und Geistesmaßen alles gleichzeitig. Und alles schnell. Sonst stapeln sich unerledigte Dinge, die einen einholen und die unausgeführt Pain bedeuten. Aber macht alles nichts. Es bleibt viel übrig, das Buch der Erinnerungen ist dicker denn je, noch nie so viel gelacht, noch nie so viel geliebt, auch wenn’s cheesy klingt. Spätestens um 6 Uhr 45 muss ich das erste Mal schmunzeln. Würde mich jemand fragen, ob ich etwas vermisse, dann würde ich sagen “nein”. Aber das entspräche nicht ganz der Wahrheit. Ich denke aber nicht darüber nach. Man muss die Dinge nehmen wie sie sind und feiern wie sie sind. Aber manchmal, im Stillen und etwas verschämt, vermisse ich ganz kleine doofe Dinge. Wie: Einfach aufstehen und gehen. Einfach so. Schlüssel nehmen. Impuls folgen. Machen. Egal was. Ohne x Dinge davor organisieren und abhaken zu müssen. Einfach. Aufstehen. Tür. Auf. Raus. Ohne Plan. Ohne Plan B. Ohne andere Leute in die Umsetzung einbinden zu müssen. Einfach mal krank sein. Sich auf eine Sache konzentrieren können.
20 Uhr 23. Ich habe jetzt eineinhalb Stunden vor dem MacBook gesessen. In Ruhe. Das Kind oben schläft. Alle anderen beschäftigen sich irgendwie selbst. Irgendwo. Und der Spagat, über den ich schreiben wollte, erscheint mir am Ende des Schreibens zwar wild und aufreibend, aber auch bunt und lustig. Und erfüllend. Dinge, die bequem, entspannt und leise sind, sind selten die, die es ins Erinnerungsbuch schaffen. Und Erinnerungen sind mein Lieblingsmitbringsel aus dem Gestern. Ins Morgen. Alles zwischen gestern und morgen, das schaffe ich dann doch - vielleicht nicht mit links. Aber mit links und rechts und einer gesunden Mitte. Bis zum nächsten Maulundklauenscharlachdarmlausevirus.
Was nehme ich mit - jetzt, da Nachgedacht auch zu Papier gebracht? Nichts. Nichts, das man nicht schon vorher gewusst hätte. Vielleicht sollte ich wieder weniger nachdenken und mehr durchatmen. Ha! Genießen. Festhalten. Feiern. Und eben mitnehmen in ein womöglich ganz und gar andersartiges nächstes Kapitel. Damit ich dann nicht auch wieder zurückblicke und meinem Vorgänger-Ich sage: “Hey, hättest Du das mal ausgekostet und genossen.” Also: Genießen. Den ganzen Wahnsinn. Genauso wie er ist. Denn genauso wie er ist, ist er “just fine” und noch viel mehr. Amen.
- Geschrieben für all meine Freundinnen, Freunde, Fellow Mummies und Daddies, Zuhörer, Mitdenker, Mitfühler und kleinen und großen Helferlein. Und nicht zuletzt für alle Arbeitgeber da draußen, die dem Spagat Raum geben.
- Und. Nein. Das wird nicht noch ein Muddiblog. Ich höre wieder auf zu denken. Und zu schreiben.